Man wird ja noch fragen dürfen, oder? Den Craftbeer-Hardlinern wird es dabei aber wohl schon das Gesicht verziehen. Das kennen sie sonst nur vom Bio-Grapefruit-infused-sour-mashed-Double IPA mit 200+ IBU. Und doch bleibt die Frage leer im Raum stehen, wie ein Barhocker einer Craftbeer-Bar im Graz der frühen 2000er Jahre. Mit Recht!
Der erste Craftbeer-Freak
Denn seit seiner Geburtsstunde hat sich der Gerstensaft vielen Hindernissen stellen müssen, bevor er nun in spacigen 0,33er-Dosen auf Holzpaletten im shabby-schick-Style eines kleinstädtischen Startup-Stores stehen darf. So stand der Ur-Gerstensaft wohl tatsächlich ebenfalls auf einem Regal einer spartanisch bestückten Hütte im frühen Mesopotamien. Wir reden hier nicht von den frühen 90er-Jahren. Unser Ur-Bier trat seinen Siegeszug vor zirka 6000 Jahren an. Und zwar richtig crazy, spacig und sauer als unabsichtlich vergorenes Getreide in einem Topf oder einer Amphore. Es war damit sozusagen auch das Ur-Craftbeer. Ein „Mesopotamien Wild Sour-Bread Ale“. Dessen erster Genuss ähnlich verzerrte Gesichter hinterließ, wie die Anfangszeilen dieser Leidens… ääähhhh Liebesgeschichte. Als würde man seiner Oma eine Oude Geuze vorstellen. Köstlich diese Vorstellung. Dabei sei erwähnt, dass ich immer noch darauf warte, bis mir endlich ein vollbärtiger und tätowierter Baseballkappenträger ein „Original Pale Ale“ braut. Also ein OPA. Doch zurück zu unserem Probanden, dem der Genuss des Ur-Bieres wohl eher nicht so gut geschmeckt haben wird. Oder doch? Zumindest fand man bis heute weder Einträge auf untapped noch auf ratebeer. Und solange es nicht online ist, ist es auch nicht passiert. Sagt man. Aber warum überwand sich der Ur-Hipster weiterzutrinken, den simplen Gärvorgang gezielt zu wiederholen? Vieles spricht für die Haltbarkeit, die der Alkohol dem Gesöff verlieh. Aber unter uns Pfarrerstöchtern: Wir wissen doch alle, dass es nur am sozialen Faktor gelegen haben kann. Angebetet wurde schon seit jeher alles und jeder. Ein herzhafter Schluck vom neuen Zaubertrank half dabei vielleicht, diesen und jenen „Gott“ oder der gottgleichen Nachbarstochter näherzukommen. Und so führte ein Missgeschick dem Brauwesen zu seinem Siegeszug. Wobei… eigentlich noch lange nicht.
Häme von Helenen
Obwohl zahlreiche Kulturen wie etwa die Ägypter und Kelten das Handwerk vorantrieben, ernteten sie dafür von einer damaligen Hochkultur bloß Häme. „Trinkt ihr nur euren verdorbenen Gerstenwein“, spotteten die Helenen, beschwingt vom griechischen Wein. Das blieb offensichtlich nicht ohne Folgen. Nach wie vor ist Wein gesellschaftlich höhergestellt denn Bier. Ein Missverständnis? Ja, ein zeitloses!
Der fatale Socializer
Bier gilt doch als der „Socializer“ schlechthin unter den alkoholischen Getränken. Als Inbegriff der flüssigen Gemütlichkeit rund um die verrauchten Stammtische Österreichs und Deutschlands. Dennoch geht ein Versuch des Sitznachbarn Bier zu greifen nur allzu oft mit einer Todesdrohung einher. Während es vollkommen normal ist, sich eine Flasche Wein zu teilen. Ganz im Gegenteil. Es entspricht der feinen Etikette. Das Tischoberhaupt bestimmt über des Winzers vergorenen Traubensaft, lässt alle Genossen von der süßen Frucht seines edlen Geschmacks zehren. Harter Schwenk zu unserem Stammtisch, wo der eilig heranrauschende Dorfwirt einen Zwist zweier Nachbarn, durch eine neue Runde Märzenbier, gerade noch verhindern konnte. Das war knapp. „Aber mein Bier, bleibt mein Bier!“ Was soll man dazu noch sagen? Der Vorschlag, die beiden mögen sich doch eine 0,33er-Flasche feinsten Barley Wine teilen, könnte zu diesem Zeitpunkt lebensbedrohliche Folgen haben. Ein fatales Missverständnis und gar nicht mehr so sozial.
Streit zum Geburtstag
Wenn sich selbst Konsumenten in die Haare kriegen, war es kein Wunder, dass sich diese Unart auch unter den sonst so friedliebenden Brauern ausweitete. Streitereien über Sinnhaftigkeit und Abschaffung des deutschen Reinheitsgebotes waren anlässlich seines 500. Geburtstages nicht nur in Zeitungen, Online-Foren und plakativen TV-Reportagen allgegenwärtig. Aber eben leider nicht immer nur sachlich. Ganz nach dem Motto: Auch Negativwerbung ist Werbung! Naja. Jeder wollte Recht behalten, seine Meinung lautstark kundtun und Argumente der anderen Interessensgruppe mit den eigenen entkräften. Der Streit um unser aller liebstes (meist) goldgelbes Getränk kannte bloß noch schwarz und weiß. Nur um am Ende doch wieder ungelöst zu bleiben. Wie war das noch? „Miscommunication leads to complication“, sang einst schon Lauryn Hill Aber eben nur selten zu Lösungen.
Der Streit mit dem Gewissen
Das nächste Missverständnis hat einen wirtschaftlichen Background, führt in einschlägigen Online-Foren bereits seit einiger Zeit zu wilden Diskussionen. Durch die Einverleibung zahlreicher kleinerer Brauereien durch die großen Player am Markt, sind Craftbeer-Fans scheinbar gezwungen eine Entscheidung für sich zu treffen. „Darf ich das IPA von XY jetzt noch trinken/als Craftbeer bezeichnen/cool finden, da XY nun zum weltweiten Branchengrößus zählt?“ Die einen sagen: „Ja klar, wenn`s schmeckt“. Während sich Hardliner naserümpfend den Rauschebart rupfen und frei nach Rumpelstilzchen durch die Brewdog-Hallen springen.
So ähnlich muss sich das damals zwischen Kelten und Griechen abgespielt haben. Ob die damals schon wussten, dass sie ein Jahrhunderte-dauerndes Missverständnis einläuteten?
Flüssige Inspiration zum Text: Reines Salzburger Quellwasser